H o r u s
Zeitung für Gäste und Freunde
Ich werde gefragt: „Was ist denn nun gute Wandmalerei, was denn Kunst überhaupt?“
Zunächst fällt mir dann dazu ein: „Das muß ich überhaupt nicht wissen!“ Diesen Satz habe ich zuerst von Reich-Ranicki im Zusammenhang mit der Literatur gehört: „Was muß ein Vogel von Ornithologie wissen?!?“
Aber natürlich denkt jeder Kunstschaffende darüber nach: Was mache ich denn hier? Was soll meine Richtung sein? Gibt es einen Leuchtturm, nach dem ich hinsegeln will? Bedeutet das alles etwas?
So wenig ich auch darüber weiß, so weiß ich doch jedenfalls irgendetwas darüber. Ich weiß, es gibt eine Übereinstimmung in einigen Bereichen der Kunst zwischen den Menschen, wenn die Werke in Richtung „Grottenschlecht“ gehen. Wer farbenblind ist, Perspektive nicht versteht, Form nicht erkennt und dem am Ende nicht einmal ein Motiv einfällt, der fällt in diese Rubrik und da gibt es hohe Übereinstimmung. Man sagt dann gern verächtlich "Kindermalerei". Also, so völlig frei ist der Kunstbegriff nicht. Im unteren Bereich jedenfalls gibt es sehr wohl Konsens.
Wie ist das im oberen Bereich, dem Bereich der „Hochkultur“? Da ist das schon ein wenig komplizierter. Wollen wir vielleicht erst einmal auf die „Mittelklassekunst“ blicken?
Wir kaufen uns ein Bild oder lassen uns ein Wandbild malen. Die Farbe ist stimmig, Perspektive OK, Licht und Schatten verständlich, dann könnten wir wohl damit zufrieden sein. Zumal, wenn das Motiv uns zusagt. Warum ist das aber nicht so sicher, nicht so selbstverständlich? Und da erst sind wir in der Überlegung, auf die ich hinweisen will hier. Das Bild hat neben den offensichtlichen Attributen noch etwas Anderes, etwas, dass ich selbst nur als Energie bezeichnen kann. Sie werden das sicher ganz anders nennen. Ausstrahlung nennen es viele. Magie nennen es die, die Sprache gern etwas blumiger haben. Die Sachlichen sprechen von Qualität. Wir haben also Worte, aber diese Worte können wir selbst nicht so genau mit Bedeutung füllen.
Und wir wissen, Kunst wirkt: Es macht natürlich einen großen Unterschied, welche Umgebung uns beeinflusst. Bei Wagner fühle ich mich anders als bei Snoop Dog. Nach Toni Morrisson fühle ich mich anders als nach Bukowski. In einem Wandbild von Michelangelo fühle ich mich anders als in einem von Can2. Die Umgebung hat ja Einfluß auf das Menschsein und Menschwerden!
Das Seltsamste aber ist, wir alle empfinden etwas A nderes als Qualität, Magie usw. Wir sind uns nicht nur nicht einig, wir sind sogar oft sehr weit entfernt voneinander in unserem Urteil. Aber, und das ist seltsam, fast alle Menschen haben ein Urteil in der Sache Kunst!
Wir wissen also schon etwas mehr als nichts über die Kunstwelt: Fast jeder lässt sich von Kunst anrühren, jedenfalls ab und an. Jeder aber von etwas Anderem. Und jeder kennt Kunst, die er als absolut schlecht erkennt, und da gibt es eine große Übereinstimmung zwischen den Menschen.
Wir erkennen also deutlich, Kunst gibt es. Es ist eine Strahlkraft, eine Wechselwirkung zwischen Bild und mir, Musik und mir, Worten und mir. Und wenn ich das weiß, darf ich in der Sache auch Selbstvertrauen haben: Meine Seele weiß offensichtlich automatisch, wohin sie strebt und womit sie sich umgeben will. Nur Offenheit, Aufmerksamkeit und Freiheit im Urteil ist notwendig, um mich mit der „richtigen“ Kunst für mich zu umgeben.
Eine Abschweifung mythenmerzscher Art: Das ständige Thema des Kaisers und seiner neuen Kleider lasse ich hier weg. Die Menschen, die für solche Dinge empfänglich sind, würden zusammenhängende Texte wie diesen kaum lesen. Und mit IHNEN brauche ich das nicht besprechen: Sie und ich wissen das, haben aber wohl keine Angst vor dieser Falle!
Was ist nun mit der „Hochkultur“? Damien Hirst, Andy Warhol, all die, bei denen wir unsicher sind, die ja aber offensichtlich bei so vielen als magisch gelten? Es ist schön, dass Sie sich mit der Frage befassen. Das zeigt ja den Versuch, den Funken „Kunst“ zu verstehen. Aber vor allem denken Sie bitte an Eines: In der Küche muß sich Geschmack auch ausbilden. Glutamat und künstliche Aromen führen dazu, dass ich an der großen Küche nicht mehr teilnehmen kann. Die Zunge stirbt. In der Kunst ist das ebenso. Ich brauche Übung und Zeit und Genussfreude und etwas, das mein Vater noch „Lebensart“ genannt hat.
Formen Sie sich Ihre Umgebung, Ihre Wohnumgebung ohne Glutamat. Sehen und fühlen Sie genau hin. Mancher Koch führt in Wirklichkeit nur eine Frittenbude. Und in manchem Imbiss kann man genüßlichst speisen. Man braucht nur genau hinzuschmecken!
Günter Woost
Dekorationsmaler